Ein Mangel an Gerechtigkeit sei nicht nur „ein moralisches und soziales Problem“, er verhindere auch Leistungsbereitschaft, spalte die Gesellschaft und gefährde unseren Wohlstand, unterstreicht der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Kurt Beck.
In einem Gastbeitrag für die „Welt“ skizziert der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz den gesellschaftlichen Rahmen, vor deren Hintergrund die SPD-Grundwerte neu zu interpretieren seien. „Das Markenzeichen der SPD ist und bleibt eine Politik der sozialen Gerechtigkeit.“ Mit Blick auf die jüngsten Debatten in der CDU um den Begriff unterstreicht der stellvertretende Parteivorsitzende die Gleichwertigkeit von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität: „Sie ergänzen und bedingen einander.“ Die Grundwerte müssten aber auch kontinuierlich den Bedingungen der jeweiligen Zeit angepasst werden, fordert Beck und fokussiert in diesem Zusammenhang die neuen Anforderungen an den Gerechtigkeitsbegriff.
Verhältnis zwischen Leistung und Gerechtigkeit stimmt nicht mehr
So spiele etwa die „Klassenfrage“ im traditionellen Sinn nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Frage „Ist das gerecht?“ stellten sich heute viele Menschen unabhängig ihrer gesellschaftlichen Stellung: „Die Akademikerin steht als junge Mutter ganz praktisch vor der Frage, ob sie die gleichen Karrierechancen wie ihr männlicher Kollege hat.“ Qualifizierte Angestellte seien zudem oft von der Schließung profitabler Unternehmen betroffen, die übertriebenen Erwartungen der Finanzmärkte nicht entsprechen, nennt der stellvertretende SPD-Vorsitzende als Beispiele und folgert: „Das Verhältnis zwischen Leistung und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft stimmt nicht mehr.“ Die einstige Polemik von Konservativen – „Leistung muss sich wieder lohnen“ – könne nun, anders gewendet, wichtiger Bestandteil einer neuen Gerechtigkeitspolitik werden.
Herstellung von Chancengleichheit ist zentraler Ansatz
Als zentrale Zukunftsaufgabe der Politik identifiziert Beck die Herstellung von Chancengleichheit. „Da jeder einzelne heute mehr Verantwortung für seine Lebensplanung hat als in der Vergangenheit, muss ihm auch die optimale Ausgangsposition für deren Umsetzung, unter anderem durch Bildung, vermittelt werden.“ Gleichzeitig müsse der Sozialstaat der Motor einer an Leistung, Teilhabe und Fortschritt orientierten Gesellschaft sein. Das, so der stellvertretende Parteivorsitzende weiter, sei Voraussetzung für ein hohes Maß an Wachstum und Fortschritt, wie es einige skandinavische Länder bereits erfolgreich demonstrierten.
Der Grundwert der Gerechtigkeit oder das Ziel einer sozial gerechten Gesellschaft müssten also revidiert werden, unterstreicht Beck: „Was wir brauchen, sind erstens ein modernes Verständnis von sozialer Gerechtigkeit und zweitens zeitgemäße Instrumente, um das Ziel auch wirklich zu erreichen.“ Ein zu geringes Maß an Gerechtigkeit hingegen, so die Warnung, sei nicht nur ein moralisches und soziales Problem. „Es verhindert Leistungsbereitschaft, spaltet die Gesellschaft und steht damit der gemeinsamen Anstrengung nach hohem Wohlstand für alle entgegen.“