(Aschersleben) „Das wäre eine schöne Partei, wo die Minorität der Majorität sich nicht fügen wollte, wo die Nichteinverstandenen das Recht hätten, fortgesetzt an Beschlüssen und ihrer Ausführung zu nörgeln, die Partei zu erregen und Spaltung zu verursachen.“ (August Bebel, 1891).
Die SPD war 1913 mit fast 35 Prozent stärkste Partei in Deutschland, mit 110 Abgeordneten stärkste Fraktion im Reichstag und bewundertes Vorbild für die internationale Arbeiterbewegung. Willy Brandt erwähnte stolz das Urteil der Züricher Wochen-Chronik zum Tod von August Bebel, „dass des 73-Jährigen unerwarteter Tod in der ganzen Welt ein größeres Aufsehen erregt hat, als der eines gekrönten Hauptes“. Und Brandt fügte hinzu: „August Bebel starb wie ein Kaiser. Und er war es ja auch gewesen – lange zu Lebzeiten: ein Kaiser der Arbeiter und der kleinen Leute.“
August Bebel, der „wie ein Kaiser“ starb, wurde am 22. Februar 1840 in den Kasematten der Kaserne in Deutz bei Köln geboren. Da er von Kindheit an Armut und Not der „kleinen Leute“ erlebte, wurde er zu deren engagiertem Anwalt. Nur dank eines „Waisenfonds“ konnte er eine Lehre als Drechsler abschließen. Nach den damals üblichen Wanderjahren übte August Bebel 1860 sein Handwerk in Leipzig aus, engagierte sich in Bildungsvereinen. Mit Wilhelm Liebknecht schuf er 1866 die „Sächsische Volkspartei“, für die er 1867 im Wahlkreis Glauchau-Meerane in den Norddeutschen Reichstag gewählt wurde.
Nach Lösung von liberaler Bevormundung gründete er, ebenfalls mit Liebknecht, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) im August 1869 in Eisenach (daher „Eisenacher“ genannt), die sich 1875 in Gotha mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) unter Ferdinand Lassalle („Lassalleaner“) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) vereinigte.
Als im Juli 1870 der preußisch-französische Krieg ausbrach, stimmte Bebel im Norddeutschen Reichstag den Kriegskrediten nicht zu. Nach dem Sturz Napoleons im September 1870 plädierte er gegen die Fortsetzung des Krieges und vor allem gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen: das würde nur wieder zu neuen Kriegen zwischen Deutschland und Frankreich führen.
Obwohl Bebel wegen dieser „undeutschen“ Haltung am 17. Dezember verhaftet worden war, gewann er bei den 1. Reichstagswahlen am 3. März 1871 wieder seinen Wahlkreis Glauchau-Meerane. Im „Hochverratsprozess“ im März 1872 wurde er zu fast drei Jahren Festungshaft verurteilt. Da ihm auch das Reichstagsmandat aberkannt wurde, fand am 20. Januar 1873 eine Nachwahl statt, die zu einem Triumph für die SPD wurde. Obwohl August Bebel in Festungshaft saß, erhielt er fast 80 Prozent der Stimmen.
Die Festungshaft, die er zu intensiven Studien nutzte, machte Bebel noch populärer. Vor allem in der Zeit der Verfolgung und Unterdrückung durch das „Sozialistengesetz“ (1878-1890) wurde er zum glaubwürdigen und charismatischen Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft. Angesichts übermächtiger Gegner fiel seine einprägsame Kurzfassung des marxistischen Geschichtsoptimismus – „den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf!“ – auf besonders fruchtbaren Boden. Im historischen Rückblick mag vieles von den damaligen Zukunftsvisionen als illusionär erscheinen. Aber der Siegeswille und die Siegesgewissheit von Bebel in Wort, Schrift und Tat verkörpert, ermutigten damals viele Menschen, sich trotz Ohnmacht und Verfolgung für eine bessere und gerechtere Zukunft zu engagieren. Unter diesem Gesichtspunkt war für Willy Brandt „August Bebel das Sinnbild der Hoffnung, „dass es einmal anders werde, dass die Not ein Ende habe“. Und die auf die SPD vertrauenden Massen brauchten diese Hoffnung „so sehr wie das tägliche Brot“.
1980 plädierte Willy Brandt noch dafür, dass die SPD „Träger dieser Hoffnung“ bleiben müsse. Zu Beginn des neuen Jahrtausends muss sie sich aber offensichtlich auch einer neuen Aufgabe stellen, nämlich: den Menschen die Angst vor einer schlechteren Zukunft zu nehmen, die von geistig verarmten Millionären in Tausenden Talk-Shows geschürt wird.
Von Horst Heimann (Quelle: vorwärts 7-8/2003)